Offenbach • Eine Ausstellung
Offenbach Ansichten: Laudation zur Vernissage von Thomas Hobein • 12.06.2015:
Weil das bekanntlich unhöflich ist, beginne ich mal bei mir selbst. Es ist die zweite Ausstellung in Offenbach, die ich eröffnen darf. Und es ist die zweite Ausstellung, die ich in Offenbach eröffnen darf, die Offenbach zum Thema hat – respektive die Bilder präsentiert, die Offenbach zeigen.
Beim ersten Mal war die Idee zur Rede recht schnell gefunden, denn es ging um Beton, oder vielmehr um das was man daraus macht – in Offenbach. Und es war auch nur ein Fotograf, der ausstellte – der Offenbacher Fotograf René Spalek und eine Serie, die Offenbacher Gebäude aus Beton zeigte.
Jetzt geht es wieder um Offenbach. Aber dieses Mal sind es gleich drei Offenbacher Fotografen, die sich in sehr unterschiedlichen Serien Offenbach nähern. Die Frage, die ich mir deshalb stellte war: Gibt es eine gemeinsame Klammer? Und ja – es gibt sie, diese Klammer.
Der eine oder die andere ahnt bereits etwas – zumal der Titel dieser Ausstellung ja Offenbach lautet – und liegt damit gar nicht so ganz falsch – aber eben auch nicht ganz richtig.
Nun, die drei Fotografen, die hier ihre Bilder präsentieren, Paul Belba, René Spalek, Peter Voigt (in streng alphabetischer Reihenfolge der Nachnamen sortiert) sind neben drei weiteren Fotografen auch in dem Buch „Offenbach Ansichten“ vertreten. Teils zeigen sie hier gleiche, teils überarbeitete oder teils neue oder zusätzliche Bilder. Man könnte also sagen, diese Ausstellung erweitert oder ergänzt das Buch. Aber das ist nicht der Fall. Denn vielmehr verdichtet sie den Inhalt.
Beim Betrachten des Buches Offenbach Ansichten spüre ich eine seltsame Distanz zur Stadt – nicht in einzelnen Serien oder Bildern, aber in der Summe aller Fotografien. Es ist, als begegne man etwas gänzlich Fremden.
Hier passiert das Gegenteil. Wir stecken knietief in der Stadt, die man kennt. Aus fernen Ansichten wurde unmittelbare Nähe. Aus analytischer Distanz zu einem Objekt, wurde leidenschaftliche Betrachtung von etwas Lebendigem – und damit von etwas durchaus Widersprüchlichem.
Und im Zusammengang mit diesen Widersprüchen musste ich an einen Science Fiction Roman denken den ich vor langer Zeit gelesen habe.
The Moon is a Harsh Mistress
„Der Mond ist eine herbe Geliebte“ stammt von dem nicht ganz unumstrittenen US-Autor Robert Heinlein. Der Roman soll jetzt übrigens verfilmt werden. Als Regisseur wird Brian Singer gehandelt, der ja nicht gerade für cineastische Feinfühligkeit steht. Doch zurück zum Thema:
The Moon is a Harsh Mistress. In einer fernen Zukunft ist der Mond längst besiedelt. Er bietet Lebensraum für Menschen, verändert sie aber auch. Er ist Zuhause, aber nicht überall.
Der Mond ist eine herbe Geliebte,
Offenbach ist es auch.
Und eben dieser herben Geliebten nähern sich drei Männer wie Männer das so tun, aber mit der Kamera. Und jeder auf seine Weise.
René Spalek tut es wie ein frisch Verliebter. Er sieht zwar sofort wo Offenbach sich geschmacklos kleidet, aber er geht so liebevoll mit diesen Entdeckungen um, wie das eben nur im Zustand der Verliebtheit möglich ist.
Peter Voigt, als einziger in Offenbach geboren, hat wohl schon einige Ohrfeigen von der Dame erhalten. Deshalb kleidet er seine Faszination in feine Ironie. Zwar zeigt er uns die Falten in ihrem Gesicht, ist ihr aber dennoch verfallen.
Paul Belba, der jüngste der drei, versucht sie leidenschaftlich zu verstehen, sie zu ergründen. Ein vielleicht unmögliches Vorhaben, mindestens aber eine Lebensaufgabe.
Aber genau deswegen fotografiert er auch nicht irgendwen in Offenbach. Er fotografiert Originale, also die Menschen, die unverzichtbar für eine bestimmte Kultur sind. Nicht durch große Taten, sondern durch ihre pure Existenz vor Ort, geben sie uns Halt in einer Zeit der rasend schnellen Veränderung.
Seine jetzt schwarzweißen „Originale“ waren in den Offenbach Ansichten noch farbig. Jetzt in Schwarzweiß verlieren sie ihren Zeitbezug und werden zu einem viel universelleren Portrait der Stadt. Die farbigen Stadtlandschaften ergänzen die Serie und zeigen als Gegenpol den fiebrigen Alltag einer Metropol-Region, die niemals ruht.
Paul Belba, geboren 1986 in Rumänien, lebt seit 1990 in Offenbach. Er studiert in Frankfurt Soziologie und blickt als junger Fotograf bereits auf diverse Ausstellungen und Veröffentlichungen zurück. Seine fotografischen Streifzüge veröffentlicht er in dem Blog clickonoff.de
Peter Voigt, geboren 1963 in Offenbach, hat in Darmstadt Visuelle Kommunikation studiert und arbeitet seit 1994 als freischaffender Künstler.
Er fotografiert Offenbach dort, wo man eigentlich nicht fotografiert. Aber gerade deshalb erfahren wir durch seine Bilder so viel über diese Stadt. Seine menschenleeren Bilder erscheinen wie eine Chronik des menschlichen Scheiterns – wie eine Komödie der Irrungen und Wirrungen. Und dabei geht er sehr ordentlich vor, der Peter. Seine Bilder räumen Offenbach selbst dort auf, wo die Stadtverwaltung schon längst aufgegeben hat.
Seine Bilder aus den Offenbach Ansichten hat er um zwei Serien ergänzt. Um zwei Schätze, die er aus den Tiefen seines analogen Archivs gehoben hat. Dabei fallen die fotogramm-artigen Aufnahmen, die er 1995 in der ausgebrannten rumänisch-orthodoxen Kirche im Isenburger Schloss gemacht hat aus dem Rahmen. Die Ironie wird hier zu etwas Mysteriösem aus einer anderen Welt.
Der dritte im Bunde, unser Gastgeber René Spalek, wurde 1964 im heutigen Tschechien geboren. Seit 1977 lebt der Fotodesigner in Frankfurt und Offenbach, wo er auch an der HfG studiert hat. Neben seinen Auftragsarbeiten findet er immer wieder Zeit für freie Projekte, die in diversen Ausstellungen und Veröffentlichungen zu sehen waren und sind. So wie hier und heute.
Und wenn ich eben sagte – er nähert sich der Stadt wie ein frisch Verliebter – dann bedeutet das lange noch nicht, dass er wie ein tumber Tor durch Offenbach torkelt, dass er wie Obelix entrückt Falballa hinterherseufzt. Er weiß auf seinen oft spontanen Streifzügen schon sehr gut, was er tut. Er sieht genau hin, betont, was ihm wichtig ist, lässt weg, was ihn nicht interessiert – oder vielleicht stört. Und malt dann mit fotografischen Mitteln das Bild einer so ungesehenen Stadt. Das Bild eines ungesehenen Offenbachs. Eben sein Bild von Offenbach. Und das überrascht in vielerlei Hinsicht.
Blickt also man auf Paul Belba’s „Originale“ sagt man sich – das ist Offenbach.
Blickt man auf Peter Voigt’s „Seltsame Orte“ sagt man sich – das ist Offenbach.
Aber blickt man auf René Spalek’s Serie „Stadt, Land . . . Haus“ fragt man sich – ist das Offenbach? Oder ist es ein Traum von Offenbach?
So: Jetzt geht hin und seht selbst.
Und denkt immer daran:
Offenbach is a Harsh Mistress.
Viel Spaß.
Thomas Hobein • hobeins.net